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„Jahr ohne Sommer 1816“

von Michael Hahl

Warum ein klimawirksamer Vulkanausbruch im Malaiischen Archipel auch die Geschichte des Odenwaldes prägte - und was es mit der globalen Wetteranomalie ab etwa 1809 auf sich hatte ... [1]

 

Im April 1815 schoss der Tambora auf der indonesischen Sundainsel Sumbawa gut 150 Kubikkilometer Asche und Gesteinsfragmente in die Höhe. Die dabei ebenfalls ausgespuckten Schwefelgase gelangten bis in die Stratosphäre und verteilten sich in den Folgemonaten über die Nordhalbkugel. In Mitteleuropa und Nordamerika kam es 1816 zu schwersten Unwettern mit Regen- oder Schneeschauern – die Sonne wirkte „verhüllt“, der Sommer blieb aus. Missernten und Hungersnöte waren die unmittelbaren Auswirkungen, gefolgt von erheblichen Teuerungen. Schätzungen gehen von 200.000 Toten in Europa aufgrund der Hungersnot aus [i].

 

Auch im Odenwald setzte ein Wetterdesaster ein, dessen Ursachen damals weit und breit niemand kannte. „Die gleiche Katastrophe hatte fast ganz Deutschland betroffen: ein verregneter Sommer – nach einer Buchener Ausgabe regnete es vom 3. Mai bis Mitte August“, erläutert Peter Assion [ii]. Nassfäule und Hagel vernichteten die Ernte, eine furchtbare Lebensmittelknappheit setzte ein, Bettlerscharen und Diebe kämpften ums nackte Überleben und in den Odenwalddörfern waren die Vorräte aufgebraucht. Bald wurde „in Wald und Flur so gut wie alles gesammelt und verwertet, was irgendwie essbar erschien[iii]. Offenbar war im südöstlichen Odenwald die Not am größten. Im Winter ging der Hungertod um. Das Elend wurde „als göttliches Strafgericht interpretiert ... Die gute Ernte 1817 aber wurde dann als Gnadengeschenk Gottes gefeiert[iv].

  

Das Jahr ohne Sommer 1816 war indes der Höhepunkt einer höchst anormalen Wetterphase. Die Zeit zwischen etwa 1809 und 1820 gilt als das weltweit kälteste Jahrzehnt in den vergangenen 500 Jahren; ein zweiter klimawirksamer Vulkanausbruch einige Jahre vor dem Tambora wird vermutet. Aufgrund der Auswertungen von Eisbohrkernen diskutieren Forscher schon seit den 1990er Jahren den explosiven Ausbruch eines weiteren klimawirksamen Tropenvulkans noch kurz vor der Tambora-Eruption [v]. Mittlerweile gibt es auf der Grundlage historischer Augenzeugenberichte Hinweise darauf, dass der bislang noch unbekannte Vulkan wohl zum Ende des Jahres 1808 ausgebrochen sein müsse.

 

So berichten ein kolumbianischer Astronom und ein peruanischer Physiker etwa zeitgleich Anfang 1809 von atmosphärischen Erscheinungen und Wetterextremen, die mit einem explosiven Vulkanausbruch und ähnlichen klimatischen Auswirkungen wie nach dem Tambora-Ereignis erklärbar sind [vi]. Ob diese Eruption die mitteleuropäische Wetteranomolie dieser Jahre geowissenschaftlich greifen und ob der hierfür verantwortliche Vulkan identifiziert werden kann, müssen weitere Forschungen zeigen. - Der Tiefpunkt dieses historisch belegten Kältejahrzehnts trat im Jahr 1816 durch die klimatischen Folgen der stratosphärischen Tambora-Gase ein.



[1] Auszug aus Michael Hahl (2016): Ferdinandsdorf im Fokus umweltgeschichtlicher Betrachtungen. Ein Beitrag zur Ursachendiskussion einer neuzeitlichen Odenwälder Wüstung. In: Der Odenwald. Zeitschrift des Breuberg-Bundes. S. 3 – 27.

[i] vgl. http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-18755-2015-04-10.html, zuletzt abgerufen am 4.5.2015

[ii] Peter Assion (1976): Hungerjahr und Erntedank 1817. In: Der Odenwald. Zeitschrift des Breuberg-Bundes 23 (1976, 3), S. 95-105.

[iii] aaO., S. 96

[iv] aaO., S. 100

[v] vgl. Jihong Dai, Ellen Mosley-Thompson, Lonnie G. Thompson (1991): Ice core evidence for an explosive tropical volcanic eruption six years preceding Tambora. In: Journal of Geophysical Research (Atmospheres) 96 (D9): 17,361–17,366.

[vi] vgl. A. Guevara-Murua, C.A. Williams, E.J. Hendy, A.C. Rust, K.V. Cashman (2014): Observations of a stratospheric aerosol veil from a tropical volcanic eruption in December 1808: is this the Unknown ∼1809 eruption? In: Clim. Past, 10, 1707-1722, doi:10.5194/cp-10-1707-2014 sowie http://www.spektrum.de/news/erste-augenzeugen-des-unbekannten-vulkanausbruchs/1309553, zuletzt abgerufen am 5.5.2015. Ferner: Weitere Ausführungen über die Zusammenhänge zwischen klimatischen Faktoren und historischen Entwicklungen bspw. bei Hubert H. Lamb (1994): Klima und Kulturgeschichte. Der Einfluß des Wetters auf den Gang der Geschichte. Weiterhin bei Rüdiger Glaser (2008): Klimageschichte Mitteleuropas. 1200 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Sowie: Susanne Kiermayr-Bühn (2009): Leben mit dem Wetter. Klima, Alltag und Katastrophe in Süddeutschland seit 1600.

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