Von der Landschaftsgenese zur Habitatausstattung
von Michael Hahl
Wie und warum der Sandstein-Odenwald zum Schwarzstorch-Hotspot in Baden-Württemberg werden konnte
Rheingraben, Neckar, Main und die Entstehung der Odenwälder Taldichte
Der Raum des südöstlichen Sandstein-Odenwaldes mit dem Übergang zum nördlichen Bauland ist als Teilgebiet des südwestdeutschen Schichtstufenlandes zu verstehen. Das Mittelgebirge ist im politikgeographischen Kontext als badisch-hessisch-bayerische Gesamteinheit einzuordnen, also ein "Dreiländereck"; wir fokussieren im Rahmen des vorliegenden Artikels allerdings den badischen Odenwald-Teilraum, und zwar besonders den Bereich des südöstlichen Sandstein-Odenwalds.
Während im heutigen Mittelgebirge Odenwald aufgrund stärkerer Hebung über Jahrmillionen hinweg bereits sämtliche über dem Bundsandstein liegenden Schichten durch Erosion abgetragen sind, so erscheinen in südöstlicher Richtung des Schichtstufenlandes – wie aufgefächert – noch Muschelkalk, Keuper und die Jura-Schichten der Alb. Die naturräumliche Grenze zwischen dem östlichem Sandstein-Odenwald und dem nördlichen Bauland wird durch den an der gegenwärtigen Landoberfläche anstehenden Übergang vom Buntsandstein zum Muschelkalk angezeigt.
An der westlichen Grenze des Odenwaldes schließt sich der Oberrheingraben an, dessen Bruchschollen sich im Lauf von über 50 Jahrmillionen bis zu drei, teilweise sogar vier Kilometer abgesenkt haben, verfüllt durch jüngere Sedimente. An den Grabenschultern haben sich stattdessen die heutigen Mittelgebirge Odenwald und Pfälzerwald sowie Schwarzwald und Vogesen emporgehoben.
Das Neckartal und das Maintal haben sich als Folge des sukzessive immer weiter absinkenden Rheingrabens immer tiefer in die Gesteinsschichten eingeschnitten (genau genommen durch rückschreitende Erosion). Dadurch konnten insbesondere im Sandstein-Odenwald wiederum zahlreiche Fließgewässer entstehen, die sich ebenfalls immer tiefer einschnitten, um mit der Tiefenerosion der großen Flüsse Schritt zu halten bzw. um sich auf deren Erosionsniveau, das wiederum vom Rheingraben bestimmt war, einzustellen.
Auf diese Weise bildete sich im Sandstein-Odenwald sukzessive ein Talnetz mit sehr ausgeprägter Taldichte. Das gegenwärtige geomorphologische Erscheinungsbild des Sandstein-Odenwaldes ist von fast regelmäßig angeordneten, tief eingeschnittenen Bachtälern mit dazwischen emporragenden Höhenzügen geprägt. Die Nord-Süd-Ausrichtung überwiegt, was wiederum auf weitere Schwächezonen im Gestein, parallel zu den Hauptverwerfungen am Oberrheingraben schließen lässt, welche ihrerseits zur Talbildung beigetragen haben. Der Höhenunterschied zwischen Talböden und Bergrücken beträgt im Sandstein-Odenwald teils über 300 Meter. Eine Sonderstellung hat das über 600 m emporragende Vulkanrelikt Katzenbuckel. Die Bachläufe des Sandstein-Odenwaldes entwässern vor allem in den Neckar, weiter nördlich auch in den Main, wobei natürlich auch etwas größere Fließgewässer wie etwa die Itter, die wiederum in den Neckar entwässert, als Vorfluter innerhalb des Odenwald-Gebirges dienen.
Auf dem Buntsandstein dieses Odenwälder Teilraums konnten sich nur relativ karge Böden entwickeln, weshalb sich das Mittelgebirge traditionell („Spätsiedelland“) als weiträumig bewaldete Region entwickelte. Während sich auf dem Muschelkalk im Bauland oder im Kraichgau, auch aufgrund der spät- und nacheiszeitlichen Löss-Einwehung, weitaus fruchtbarere Böden bilden konnten, wodurch diese „Gaulandschaften“ schon frühzeitig besiedelt und kultiviert wurden. Noch heute stellt insbesondere der Sandstein-Odenwald, der politisch teils badisch, teils hessisch, teils bayerisch verwaltet ist, eine historisch gewachsene Kulturlandschaft mit ungewöhnlich weiträumigen Wäldern dar, deren tiefeingeschnittene Bachtäler als hochwertige FFH-Fließgewässer unter unionsrechtlichem Schutz stehen. Als kulturlandschaftliche Besonderheit kann gelten, dass die weiträumigen Wälder des Sandstein-Odenwaldes auch noch in den Muschelkalk-Gau des nördlichen Baulands, nordwestlich von Buchen, Walldürn und Höpfingen „ausstrahlen“, auch wenn sich der typische Landschaftscharakter des Sandstein-Odenwaldes dort nicht mehr wiederfindet. Umso mehr erzeugt der Übergang vom südöstlichen Odenwald ins nördliche Bauland eine zusätzliche geoökologische Vielfalt.
Die beschriebene Landschaftsentwicklung und die dadurch hervorgerufene geomorphologische Formung der Landoberfläche, zusammen mit der nacheiszeitlichen Überprägung, ist also für die hervorragende Habitat-Ausstattung verantwortlich, die im Odenwald zu finden ist. Das ausgeprägte Relief und die weniger fruchtbaren Böden sorgten dafür, dass sich im Odenwald über Jahrhunderte, eigentlich Jahrtausende hinweg, eine weiträumige, relativ dichte Waldregion erhalten konnte. Was für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung eher nachteilig war, ließ naturräumlich und ökologisch einen besonders hochwertigen Lebensraum gedeihen.
Insbesondere typische Waldbewohner, also Arten wie der Schwarzstorch, sind gegenwärtig geradezu optimal an die Habitate des Sandstein-Odenwaldes angepasst. Das dicht bewaldete Mittelgebirge mit seinen tief eingeschnittenen, sehr naturnahen Fließgewässern, gespeist aus Schichtquellen der Bundsandstein-Abfolge, weist eine geradezu essenzielle Habitatausstattung für die scheue Waldvogelart Schwarzstorch auf.
Von den Landschaftsschutzgebieten zu Fauna-Flora-Habitaten - und zum großen Vogelschutzgebiet?
Die Unterschutzstellung dieser Region hat besonders in den 1980ern Jahren einen großen Schub mit der Ausweisung einiger teils sehr großer Landschaftsschutzgebiete erfahren, deren LSG-Verordnungen zudem stringent verfasst wurden und auch konsequent die darin befindlichen Lebensstätten und Lebensgemeinschaften schützen, ergänzt von kleinen Naturschutzgebieten. Hinzu traten in den 80er Jahren die Ausweisungen der beiden Naturparke im hessischen, bayerischen und badischen Naturraum. Nach der Jahrtausendwende erfolgte die Entwicklung und Ausweisung eines Geoparks, sowohl als nationaler Geopark als auch innerhalb des Europäischen Geopark-Netzwerks und schließlich als ein bei den Vereinten Nationen geführter UNESCO-Geopark.
Im Rahmen der Schutzkulisse Natura 2000 wurden nach und nach teils relativ große FFH-Gebiete (Fauna-Flora-Habitat) ausgewiesen, und auch zahlreiche Odenwälder Bachläufe erhielten angesichts ihres guten Erhaltungszustands und ihrer hohen Schutzwürdigkeit den Status von FFH-Fließgewässern. Was allerdings im östlichen Sandstein-Odenwald mit dem angrenzenden nördlichen Bauland signifikant zu kurz kam, das war die Unterschutzstellung von Vogelschutzgebieten, die im badischen Odenwald-Teilraum aus naturschutzfachlicher und generell aus geo- und umweltwissenschaftlicher Perspektive unverständlicherweise komplett ausblieb (wenn man von einem Schutzgebiets-“Winzling“ wie dem Vogelschutzgebiet Lappen bei Walldürn einmal absieht).
Doch die hervorragende Habitatausstattung des östlichen Sandstein-Odenwldes mit Übergang zum nördlichen Baulands spricht gewissermaßen ihre eigene Sprache. Hier konnten sich erstklassige Brut- und Nahrungshabitate für die Anhang I-Vogelart Schwarzstorch und viele weitere typische Wald- und Waldrandbewohner ausbilden. Wespenbussarde sind im Sandstein-Odenwald ebenfalls stark vertreten, Eulen ebenso und einige den Habitaten angepasste Vogelarten mehr. Von den zahlreichen Fledermausartensoll hier nur nebenbei die Rede sein, da sich der Untersuchungsgegenstand um den Vogelschutz dreht, wenngleich die Verzahnung mit der FFH-Richtlinie gearde auch bei Fledermäusen deutlich wird.
Selbstverständlich ist die Artenvielfalt in der Region auf die spezielle Habitatprägung des Sandstein-Odenwaldes zugeschnitten. Dennoch sind auch hier erhebliche Vorkommen von Rotmilanen, Wanderfalken usw. vertreten. Der Übergang zum nördlichen Bauland macht sich hier in Bezug auf die Habitatausstattung deutlich bemerkbar, ebenso zu den Rodungsinseln auf den Hochflächen des Sandstein-Odenwaldes (bspw. Mudau,, Limbach, Waldbrunn usw.) usw. Zudem zeigte sich in den letzten Jahren, dass dem Sandstein-Odenwald auch eine hohe Funktionalität insbesondere für den Greifvogelzug zukommt, die natürlich angemessen in Entscheidungen bezüglich Vogelschutzgebieten einzubeziehen ist.
Starke ökologische Impulse aus der landschaftsgeschichtlichen Habitatausstattung
Nun könnte man also abschließend noch einmal fragen: Was hat die Landschaftsgenese mit der heutigen Habitatausstattung und der regionalen Entwicklung zum Schwarzstorch-Hotspot in Baden-Württemberg zu tun? Wie wir gesehen haben, hat sich im Lauf der Erdgeschichte der Sandstein-Odenwald mit seinen weiträumig bewaldeten Bergrücken und dem dichten Talnetz tief eingeschnitter naturnaher Bachtäler gewissermaßen „unvermeidlich“ zu einem erstklassigen Lebensraum für den Schwarzstorch entwickelt. Aktuell ist für diese biogeographische Region eine optimale Habitatausstattung mit der höchsten Schwarzstorch-Revierdichte innerhalb von Baden-Württemberg zu verzeichnen. Umso mehr trifft das zu, wenn man – gemäß Kohärenz-Prinzip der EU – den Sandstein-Odenwald länderübergreifend mit seinen vergleichbar hochwertigen bayerischen und hessischen Schwarzstorch-Habitaten als Einheit „Östlicher Sandstein-Odenwald" betrachtet.
Von dieser hervorragenden Habitatausstattung gehen grundlegende Impulse aus, die sich wiederum in der Umgebung weiter auswirken, in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht. Der regionale Schwarzstorchbestand im Sandstein-Odenwald mit seinen FFH-Gebieten als essenzielle Nahrungshabitate und seinen bewaldeten Lebensräumen als Bruthabitate muss sicherlich als wichtige Quellpopulation auch für eine überregionale Schwarzstorchentwicklung bewertet werden, d.h. dass er im Rahmen einer Raum-Zeit-prognostizierenden Betrachtung mit höchster Wahrscheinlichkeit als eines der besonders wichtigen Akkumulations- und Herkunftsgebiete von Individuen auch für weitere Populationen innerhalb einer west- und südwestdeutschen Metapopulation fungiert. Die biogeographische Bedeutung dieses Lebensraums im nördlichen Baden-Württemberg nimmt derzeit weiter zu, einhergehend mit einigen teils gravierenden Bestandseinbrüchen unter den Ostziehern und mit zunehmend hoher Frequentierung der Westrouten innerhalb der Schwarzstorch-Population des EU-Mitgliedsstaats Bundesrepublik Deutschland.
Aktuell kann aufgrund einer bislang positiven Bestandsentwicklung der letzten Jahrzehnte außerdem keine Entwarnung für die Westzieher-Population gegeben werden, wodurch ein so hervorragend ausgestatteter Schwarzstorch-Lebensraum wie der Sandstein-Odenwald mit Übergang zum nördlichen Bauland umso mehr als potenzieller Raum für Quellpopulationen im Natura 2000-Netz zu schützen ist. Dieser Schutzstatus, der aus der höchsten Habitat- und Revierdichte in Baden-Württemberg und aus einer signifikanten Habitatausstattung auch innerhalb Deutschlands herzuleiten ist, macht aus mehreren Gründen eine Betrachtung als faktisches Vogelschutzgebiet erforderlich, die zu einer formellen Vogelschutzgebiet-Ausweisung führen sollte.
Im Sinne einer erfolgreichen Biodiversitätsstrategie und einer kohärenten Lebensraumvernetzung kann diese Schutzgebietskategorie auf Grundlage der Vogelschutz-Richtlinie in Wechselwirkung mit der weitgehend bereits erfolgten Unterschutzstellung regionaler FFH-Gebiete die Entwicklung etlicher Wildtiere optimieren und sichern, inklusive der Zugvögel und Durchzügler, die diese Habitatausstattung ebenso nutzen.